Cerca

Soci e partner

Provincia di Ravenna

Comune di Ravenna

Fondazione del Monte

Cassa di Risparmio di Ravenna

Regione Emilia-Romagna

Ministero della Cultura

Memoria e Ricerca

La scienza al tempo di Wikileaks. Riflessioni sulla storia contemporanea nel ventunesimo secolo

di Kiran Klaus Patel
in Memoria e Ricerca n.s. 37 (2011), p. 155


Kiran Klaus Patel*

Wissenschaft in Zeiten von Wikileaks

Überlegungen zur Zeitgeschichte im 21. Jahrhundert


Als „Albtraum für den Diplomaten“, aber als „Traum“, sogar als „Schatzkästlein“ und „Festschmaus“ für den Historiker hat Timothy Garton Ash kürzlich die Veröffentlichung von Hunderttausenden von Dokumenten auf der Plattform Wikileaks bezeichnet. Während die Zunft normalerweise 20 oder 30 Jahre warten müsse, um an solche Kostbarkeiten zu gelangen, böten sich jetzt fast schon in Echtzeit Einblicke in die Interna der US-amerikanischen Außenpolitik. Das gelte besonders angesichts der Datenmenge: Alle Dokumente zusammen umfassten über 260 Millionen Wörter.1


Allein die schiere Masse des Materials könnte man genauso gut als erdrückend empfinden. Wer wird je in der Lage sein, all diese Dokumente zu lesen, geschweige denn sorgfältig zu analysieren? Oder gar einer angemessenen Prüfung auf ihre Authentizität zu unterziehen, wie es eigentlich zum guten Handwerk der Geschichtswissenschaft gehört – zumal bei diesen Dokumenten, die vom Nimbus leben, „die Wahrheit“ ans Licht zu bringen? Es gibt zwar keine Hinweise, dass es sich um Fälschungen und Manipulationen handelt, aber einem wissenschaftlichen Anspruch genügt dieser Zustand kaum.


Solche Fragen spielen in der heutigen Debatte über Wikileaks keine große Rolle. Vielmehr dreht sich die Diskussion um nahe liegende Probleme, wie die Grenzen angemessenen staatlichen Verhaltens, die Rolle von Medien sowie das Verhältnis von Geheimhaltung und Öffentlichkeit in politischen und anderen Entscheidungsprozessen. Dagegen soll hier Wikileaks als Anlass genommen werden, um über Verschiebungen in der Zeitgeschichtsschreibung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert nachzudenken. Im Mittelpunkt stehen dabei forschungspraktische Implikationen, die sich aus Veränderungen in der Art des Quellenmaterials und dem Zugang zu diesem ergeben. Während sich die Geschichtswissenschaft langsam auf das digitale Zeitalter im Allgemeinen einstellt und sich mittlerweile Zentren bilden, die sich besonders intensiv mit diesen Fragen beschäftigen,2 haben die hier verfolgten Fragen bislang wenig Aufmerksamkeit gefunden.3


Konkret liegt dem Beitrag die These zugrunde, dass technologische Innovationen und veränderte Kulturpraktiken die Beschaffenheit des Quellenmaterials für die Zeitgeschichtsschreibung im 21. Jahrhundert neu bestimmen, ohne dass in der historischen Forschung darüber bislang eine angemessene Debatte geführt würde4. Um ein Missverständnis zu vermeiden: Wikileaks wird hier nicht als die eine Zäsur verstanden, die uns in eine neue Welt führt. Dasselbe gilt – das sei hier ausdrücklich betont – noch nicht einmal für die digitale Revolution der letzten drei Jahrzehnte. Vielmehr lassen sich einige der im Folgenden dargestellten Veränderungen in die 1960er Jahre zurückverfolgen, und insofern sollte man auch das digitale Zeitalter in größere Zusammenhänge einordnen.


Zunächst wird dieser Wandel des historischen Materials diskutiert und in seinen forschungspraktischen Konsequenzen ausgeleuchtet. Vier Dimensionen werden dabei unterschieden: Sowohl der Zugang zum Material, der Inhalt des Überlieferten, unsere Wege der Materialfindung wie auch die Formen historischer Analyse stehen demnach an der Schwelle zum 21. Jahrhundert vor neuen Herausforderungen. Anschließend werden einige mögliche Tendenzen skizziert, die sich daraus für die Geschichtswissenschaft ergeben. Insgesamt zeigt sich, dass eine schiere Fortsetzung bisheriger Forschungsstrategien für wichtige Fragen in eine Sackgasse führen wird. Unter anderem wird die These vertreten, dass von der Veränderung der Quellenbasis die Politikgeschichte in besonderem Maße betroffen sein wird und weiterhin jeder institutionenzentrierte Zugriff, der sich für Entscheidungsprozesse interessiert.


Die Zeitgeschichtsschreibung hat sich im 20. Jahrhundert oft darin gefallen, mit Thukydides auf ihre Anciennität hinzuweisen und so ihre Stellung in der Geschichtsschreibung zu legitimieren. Zugleich herrscht bislang ein wunderbarer Pragmatismus, laut dem man einfach mit dem Vorhandenen arbeitet. Das nie Aufgezeichnete und Zerstörte wird gelegentlich vermisst, aber letztendlich wird wenig darüber reflektiert, wie sich Formen und Inhalte zeithistorischer Quellen verändern. Dennoch gilt es, Gemeinsamkeiten wie Spezifika der Zeitgeschichte im Vergleich zu anderen Subdisziplinen der Geschichtswissenschaft immer wieder neu zu bestimmen.


***


Als Teil der Herausbildung einer modernen Geschichtswissenschaft seit dem 19. Jahrhundert wurde verstärkt über den Charakter der verwandten Quellen reflektiert. Der deutsche Historiker Johann Gustav Droysen (1808-1884) wies etwa in seiner „Historik“ auf die enorme Bedeutung der Quellen hin, wenn er davon sprach, dass die „Methode der historischen Forschung […] durch den morphologischen Charakter ihres Materials“ bestimmt sei.5 Er entwickelte deswegen eine differenzierte Typologie, die unter anderem eigentliche „Quellen“ von „Überresten“ und von Mischformen unterschied. Weit über das schriftlich Überlieferte hinaus hatten für Droysen auch „Feldflure“, „Münzen“ sowie „Kunstwerke aller Art“ Quellenwert – sie alle gelte es „ans Licht zu holen“, um aus ihnen historische Erkenntnisse zu gewinnen.6


Die Zeitgeschichtsschreibung ist in ihrem Quellenmaterial weitgehend auf Schriftstücke fixiert geblieben. Das mag im Lichte von Droysens Bemerkungen ziemlich konventionell erscheinen, prägt jedoch die Forschungspraxis. Deswegen soll im Folgenden der Schwerpunkt auch auf textförmigen Quellen liegen. Zugleich ist unbestritten, dass sich die Zeitgeschichte forschungspraktisch von anderen Epochen durch ihren besonderen Reichtum an solchen schriftlichen Quellen unterscheidet. Verwiesen sei nur darauf, dass die Akten des Board of Trade, die in Großbritannien während des Zweiten Weltkrieges produziert wurden, ins Regal gestellt dieselbe Länge ergäben wie alle Archivalien zur englischen Geschichte zwischen 1066 und 1900.7 Seitdem hat sich der Quellenreichtum immer weiter potenziert.8 Neben dem rein Quantitativen stehen meines Erachtens heute jedoch qualitative Veränderungen bezüglich des Materials an. Diese führen, wie oben bereits angedeutet, in vier verschiedene Richtungen.


1. Veränderungen bei der Zugänglichkeit der Quellen: Mehr noch als bisher, so die These, wird die Zeitspanne heterogener werden, ab welcher Quellen für die historische Forschung zur Verfügung stehen werden. Sicherlich, eine verbindliche und allumfassende Regelung hat es nie gegeben, trotz der 30- oder 50- Jahres-Sperrfristen für staatliche Akten in vielen Staaten. Manches, wie Personalakten oder die Bestände des Vatikans, bleiben länger verschlossen. Größere Umbrüche wie Regimewechsel (z.B. 1945 und 1989) haben umgekehrt dazu geführt, dass zentrale Dokumente vorzeitig zugänglich wurden. Für Zeitungsquellen sowie die meisten anderen Medienerzeugnisse,9 für Umfragedaten und viele Statistiken gibt es zudem keine Schutzfristen, welche die Arbeit der Geschichtswissenschaft behinderten. Dasselbe gilt natürlich auch für Oral-history-Quellen. Durch die Pluralisierung der Fragestellungen im Rahmen der sozial- und später der kulturgeschichtlichen Weitung der Disziplin ist das Primat staatlicher Akten ebenfalls gebrochen.


Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, wie prägend die 30-Jahres-Regelung für die Forschungspraxis bisher geblieben ist. Für Forschungszweige, die stark institutionenzentriert arbeiten, mag dies noch einleuchten. Dass jedoch auch andere Forschungsfelder in den letzten Jahrzehnten dekadenweise vorangeschritten sind, ist keineswegs zwingend.10 Dennoch stehen heute in vielen Historiographien die 1970er Jahre im Mittelpunkt der Forschung, nachdem man sich diesen in einer „dekadologischen“ Arbeitsweise langsam angenähert hat.11 Hier soll nicht weiter ausgelotet werden, warum die Sperrfirst staatlicher Archive immer noch forschungsbestimmend ist, wiewohl sie schon heute nicht mehr zwingend ist.12 Vielmehr soll auf zwei Verschiebungen hingewiesen werden, welche diese Praxis trotz der bis heute dominierenden Inertia der Zunft künftig international relativieren werden – interessanterweise sowohl in Richtung eines früheren wie auch eines späteren Zugangs.


Vieles wird künftig schneller und leichter verfügbar sein. Bislang wenig beachtet, für die internationale Forschungspraxis jedoch sehr wichtig ist die globale Ausbreitung von Informationsfreiheitsgesetzen. Über 80 Staaten verfügen heute über einen solchen Rechtsanspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen.13 Das kommt einem Paradigmenwechsel gleich: Galt bisher das Amtsgeheimnis als Normalfall, von dem es Ausnahmen gab, wird nun der Informationszugang zur Norm, von der es (allerdings größere) Ausnahmen gibt. Seit 1990 verfügt übrigens auch Italien über ein derartiges Gesetz, das seitdem mehrmals überarbeitet wurde.14 In der Praxis hat sich bislang wenig verändert. Aber das muss nicht immer so bleiben, wie sich an den Erfahrungen in anderen Ländern zeigt. Vorreiter Schweden verfügt über eine derartige Regelung bereits seit über 200 Jahren. In den USA etwa hat der 1966 eingeführte „Freedom of Information Act“ mit der Zeit den Zugang zu vielen Quellen erleichtert, wie jeder weiß, der zur US-amerikanischen Zeitgeschichte arbeitet.15


Die Informationsfreiheitsgesetze haben jedoch auch Kehrseiten. Während klassische Archivordnungen wesentlich die Interessen der wissenschaftlichen Forschung reflektieren, spiegeln diese Gesetze viel stärker den Versuch wieder, politische und administrative Prozesse für die Allgemeinheit der Bürger transparenter zu machen. Das hat Folgen. Häufig sind Gebühren für die Nutzung des Materials zu entrichten und mehrwöchige Wartefristen einzuhalten. In Bezug auf Südafrika hat Peter Sebina auf unwillige Bürokratien hingewiesen, bei denen es gut sei, die rechtliche Lage genau zu kennen.16 Auch die australische „Freedom of Information” (FOI) Gesetzgebung erweist sich laut Greg Terrill in der Praxis als zäh – es sei „easier by far to read books, articles, and published reports in campus libraries than to negotiate and then access records under FOI“.17 Dass man teilweise Dokumente in den Registraturen der Behörden vor ihrer Archivierung nutzen kann, ist zudem aus methodischer Sicht problematisch, da keineswegs immer gesichert ist, dass die eingesehenen Materialien später archiviert werden. Die Überprüfbarkeit einer Quelle ist somit nicht unbedingt gegeben.18


Noch gravierender ist, dass selbst die liberalsten Informationsfreiheitsgesetze der Welt Ausnahmen kennen. Von ihnen unberührt sind die Materialien der meisten nichtstaatlichen Akteure, etwa Unternehmen, nichtstaatliche Organisationen oder Privatpersonen. Darüber hinaus gibt es in den Gesetzen wichtige Exzeptionen vom freien Zugang. Im Grunde spiegelt die Informationsfreiheitspolitik nur eine Verschiebung zwischen dem Öffentlichen und dem Geheimen in einer Zeit wieder, in der Politik zunehmend aus dem Arkanbereich getreten ist und von einer kritischen Öffentlichkeit intensiv verfolgt wird.19 Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Gegenbewegung zur Informationsfreiheit, das heißt die steigende Tendenz zu Ausnahmen und Geheimhaltung.20 Verwiesen sei nur auf den Datenschutz, der in seiner modernen Form auf Versuche verstärkten staatlichen Zugriffs gegenüber den Bürgern seit den 1960er Jahren ebenso reagierte wie auf Innovationen der elektronischen Datenverarbeitung. Über den Datenschutz hinaus gibt es eine wachsende Zahl weiterer Geheimhaltungsregelungen, welche den Zugang zu zentralen Quellen zunehmend erschweren.21


Insgesamt wird die Zeitgeschichte im 21. Jahrhundert somit mit beidem leben müssen: Das zeitgenössisch als geheim Geltende wird noch geheimer als bisher. Dagegen wird vieles, was aus der Perspektive von Entscheidungsprozessen nachrangig ist, künftig leicht verfügbar sein. Genau dies lässt sich übrigens auch bei den Wikileaks-Dateien beobachten, bei denen es sich ausschließlich um Dokumente niedriger Geheimhaltungsstufen handelt, während die US-Administration das Wichtige durchaus zu schützen vermochte. Das Spannungsverhältnis zwischen der Tendenz zur Liberalisierung und zum verschärften Verschluss wird die Forschung künftig wesentlich prägen; auf diese Diskrepanz des Zugänglichen muss man sich einstellen. Mit einer einheitlichen, staatlich vorgegebenen Sperrfrist hat das kaum noch etwas zu tun. Wer seine Forschung zur Zeitgeschichte des 21. Jahrhunderts danach organisiert, muss entweder ganz spezifische Gründe haben, oder aber er hängt einem alten Zopf an.


2. Das Überlieferte im Zeitalter technischer Dauerinnovation: Abgesehen von Fragen des Zugangs wird in den Archiven selbst die Arbeit immer mehr zur Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Neben der schon erwähnten, stetigen Ausweitung des Überlieferten ist dies auf technologische Innovationen zurückzuführen. Eine bislang kaum reflektierte Zäsur in diesem Zusammenhang stellt das Aufkommen billiger Massenreproduktionstechniken von Papierquellen dar. Wer je mit Akten der frühen 1950er Jahre und der späten 1970er Jahre gearbeitet hat, wird in vielen Fällen einen markanten Unterschied feststellen: Hektographien und später Fotokopien (sowie teilweise Produkte anderer Vervielfältigungstechniken) in kaum noch überschaubarer Menge schleichen sich besonders in dieser Phase in das Material ein. Akten enthalten oftmals dutzendfach dasselbe Dokument – einfach weil die Reproduktion für die Akteure unaufwendig wurde und weil Archivare später aufgrund der schieren Masse des abgegebenen Materials nicht mehr in der Lage waren, Dubletten oder weniger Relevantes zu kassieren. Dies erklärt auch, warum der Anteil des unverzeichneten Materials massiv steigt.22


Am Anfang war also der Fotokopierer. Über das Problem der Redundanz hinaus haben neue Kommunikationstechnologien wie das heute fast schon wieder vergessene Fax (v.a. seit den 1980er Jahren), moderne Textverarbeitungsprogramme, E-Mail, SMS, Internet und vieles mehr die Menge des Verfassten in den letzten Dekaden deutlich erhöht. Texte werden aber nicht nur in einer Vielzahl von neuen Medien verfasst und kommuniziert; es gibt auch eine wachsende Zahl von Quellen, die nur teilweise oder gar nicht textförmigen Charakter haben. Verwiesen sei nur auf das Fernsehen, besonders seit Beginn des Privatfernsehens in den frühen 1980er Jahren.


All diesen unterschiedlichen Quellen gerecht zu werden, stellt die Archive vor immense Aufgaben. Denn viele dieser Zeugnisse der Vergangenheit sind in anderer Form fragil als Papierdokumente. Quellen sind nunmehr nicht nur durch Feuer oder Wasser gefährdet, sondern etwa auch dadurch, dass Faxe verblassen und unlesbar werden können und dass Textverarbeitungsprogramme als Basis von digitalen Archivierungsprojekten schnell veralten und auch digitale Datenträger verfallen. Datenarchäologie ist ein ernstzunehmendes Thema; Geschwindigkeit wird zu einer Kernanforderung archivalischer Arbeit, da man zehn oder fünfzehn Jahre nach Herstellung eines elektronischen Dokuments seine dauerhafte Les- und Verfügbarkeit oft nicht mehr sicherstellen kann.23 Überdies lassen sich digitale Quellen nicht nur leicht massenhaft speichern. Schnell tut sich die Frage auf, ob sie sich nicht auch besonders einfach vernichten und sperren lassen. Der gescheiterte Versuch der US-Regierung, die Wikileaks-Dateien des Herbsts 2010 vom Netz zu nehmen, bietet dafür ein Beispiel, wobei er auch zeigt, dass es kaum möglich ist, einmal ins Internet gelangte Informationen wieder zu beseitigen. Ein anderes Beispiel für die Unsicherheiten des digitalen Zeitalters wäre das umstrittene Schicksal von Millionen von E-mails aus dem White House unter verschiedenen US-Präsidenten,24 oder der verbürgte Datenverlust der NASA aufgrund nicht mehr nutzbarer Magnetbänder.25


Von der Zeitgeschichte wenig beachtet diskutieren Archivare seit einer Reihe von Jahren die Implikationen und notwendigen Konsequenzen dieser technologischen Innovationen, deren Verwendung das Material häufig ab den 1970er und 1980er Jahren prägt, aber wie im Fall der Magnetbänder manchmal auch weiter zurückreicht.26 Dabei geht es sowohl darum, Text-, Bild- und Tonquellen digital zu speichern, als auch um die dauerhafte Verfügbarmachung dieser Daten. Neben der UNESCO versucht eine ganze Reihe von Netzwerken und Institutionen, entsprechende Vorhaben voranzutreiben und zu bündeln. So erforschen etwa das in Kanada angesiedelte InterPARES-Projekt oder die internationalen IPRES-Konferenzen die Möglichkeiten, Informationen dauerhaft digital zu sichern.27 Die Effekte dieser Anstrengungen für den archivarischen Alltag sind bislang sehr unterschiedlich. So nehmen die USA und die Niederlande Vorreiterrollen ein, da hier massenhaft analoge Quellen digitalisiert und elektronische Formate dauerhaft gespeichert werden.28 Dabei kommt es auch zu interessanten Kooperationen zwischen staatlichen Einrichtungen und Firmen: Zum Beispiel hat Twitter im Frühjahr 2010 der U.S. Library of Congress alle „public Tweets“ zur Archivierung überlassen – immerhin werden heute täglich rund 95 Mio. Tweets weltweit versandt.29


Zugleich gibt es große Leerstellen. So geht der Zeitgeschichte eine Quellengattung zunehmend verloren, auf die man für die meisten anderen Epochen zurückgreifen kann: der Brief, besonders als Medium privater Korrespondenz. Diese für viele Fragen besonders aussagekräftige Quelle spielt heute nicht mehr jene Rolle, die ihr noch vor 30 Jahren zukam. Telefon, E-Mail und andere Medien sind häufig an ihre Stelle getreten, wobei mit dem Brief der Zeitgeschichte nicht nur in formaler Hinsicht eine Quellengattung abhanden kommt, sondern auch ein spezifischer Modus der oft besonders tiefgründigen Reflektion und Kommunikation.


Schlimmer noch: Während viele Institutionen heute eine Politik zur Sicherung von E-Mails haben, gilt dies für Telefonate auf Handys nicht.30 Twitter wird archiviert und aufbereitet, von Facebook, anderen sozialen Netzwerken oder vielen Blogs ist nichts dergleichen bekannt. Selbst datensammelnde Firmen wie RapLeaf, die Informationen über Personen von verschiedenen Web-Seiten zusammenziehen und Kundenprofile erstellen, haben an einer Archivierung für wissenschaftliche Zwecke kein Interesse.31 Wie auch in der Vergangenheit bleibt das Medium der Kommunikation deswegen wichtig für die Wahrscheinlichkeit und die Form der Überlieferung. Während bislang jedoch primär mündliche Aussagen unarchiviert verhallen, wird es künftig auch viele andere Formate geben, welche der Geschichtswissenschaft nicht oder nur sehr eingeschränkt zu Verfügung stehen werden. Insofern werden im Material künftig häufig noch größere und andere Lücken klaffen, als das bisher der Fall war.


Was folgt aus diesen Veränderungen bei Zugang und Qualität des Materials jedoch für den Stellenwert des Archivs, verstanden als Institution und als physischer Ort? Die Pluralisierung der Methoden und Fragestellungen in der Forschung der letzten Jahrzehnte hat einerseits die Aura archivgestützten Arbeitens reduziert – denn heute gilt es je nach Problemstellung als satisfaktionsfähig, außerhalb von Archiven verwahrte Quellen zu konsultieren. Andererseits wird für die Zeitgeschichtsschreibung aufgrund ihrer Quellenfülle der sprichwörtliche Gang ins Archiv oft unverzichtbar bleiben. Während etwa ein enormer Teil der griechisch-römischen Schriftquellen der Antike ediert vorliegt und während online-Projekte wie EEBO für die Frühe Neuzeit riesige Quellenkörper erschließen und nicht einmal vor der Erfassung ganzer Stadtarchive Halt machen,32 werden Aufwand und Kosten zur Digitalisierung eines Großteils der zeithistorischen Quellen im Sinne einer open access-Lösung auch künftig prohibitiv groß sein. Das klassische Archiv behält für die Zeitgeschichtsschreibung also seine zentrale Stellung.


Man kann nur hoffen, dass dieses enge Verhältnis wechselseitig bleiben wird: Vorbei sind die Zeiten, in denen der Aufbau und Unterhalt von Archiven in einem engen Verhältnis zu Projekten der kollektiven Identitätspolitik stand, sei es auf gruppenbezogener, regionaler, nationaler oder irgendeiner anderen Ebene. In jener Phase waren Archive stark auf wissenschaftliche Nutzung ausgelegt – die bekanntlich auch nicht mit einem freien Zugang zu verwechseln ist, da zumeist Anträge der Akteneinsicht vorausgehen.33 Knappe Kassen und nachlassende Vergangenheitsbezüge in Fragen kollektiver Identität – sowie der wachsende Bedarf an individuelle Erinnerung von Bürgern – haben das Selbstverständnis vieler Archive der Welt nachhaltig geändert. Wie so häufig spielen dabei die Archive der angloamerikanischen Welt eine Vorreiterrolle.34 Darüber hinaus kann in vielen nichtstaatlichen Organisationen von einem „Quellenbewusstsein“ – mit einer entsprechenden systematischen Archivierung von Unterlagen – kaum die Rede sein35. Wann jedoch haben Zeithistoriker zuletzt solche Fragen diskutiert? Und ihre Interessen in den Archiven geltend gemacht? Marc Bloch hat einmal gesagt, dass die Werkzeuge allein die Wissenschaft nicht ausmachen, dass man es sich zugleich aber auch nicht leisten könne, sich für ebendiese Instrumente nicht zu interessieren36. Die Zeitgeschichte an der Schwelle zum 21. Jahrhundert ignoriert dagegen in eklatanter Weise jene Veränderungen im Archivwesen, welche unsere Forschungspraxis künftig prägen werden. Das kann man sich nicht mehr lange leisten.


3. Recherchieren in analogen und digitalen Welten. Aber nicht nur für die Zugänglichkeit und die Archivierung, sondern auch für den weiteren historischen Forschungsprozess ergeben sich aus der neuen digitalen Welt von Informationsfreiheit und Sekuritätsbedürfnissen veränderte Perspektiven und Herausforderungen. Naheliegenderweise verbessern die neuen digitalen Möglichkeiten die Arbeitssituation der Historiker. Immense Reichtümer türmen sich plötzlich auf dem eigenen Schreibtisch auf: Die Wikileaks-Dateien, zahlreiche digitalisierte Zeitungsarchive und vieles mehr kann man von jedem internetfähigen Rechner der Welt gratis einsehen. Andere Online-Archive mit Quellen und Literatur, wie JSTOR oder Project MUSE, sind zwar kostenpflichtig, aber vielen wissenschaftlichen Nutzern zugänglich. Von großem Vorteil sind zudem die Suchmöglichkeiten, die sich aus der Digitalisierung ergeben. Gewisse Formen quantitativer Analyse werden im Handumdrehen zum Kinderspiel. Wie sich etwa jüngst an Googles Books Ngram Viewer zeigte, eröffnen die neuen digitalen Wirklichkeiten für manche Fragen Perspektiven, zu denen es noch vor kurzem kein Pendant gab.37 So schleifen sich auch gewisse Wissens- und Wissenschaftshierarchien ab. Viele Forschungsprojekte wird man künftig in der akademischen Provinz, bzw. ohne großen Reiseetat ebenso gut bearbeiten können wie in der Nähe von Archiven und großen Forschungsbibliotheken. Insofern ist es recht merkwürdig, dass es (noch?) einen Hautgout hat, Onlinequellen zu zitieren – und das, obwohl bereits heute die wenigsten wissenschaftlichen Texte komplett offline entstehen.38


Die Digitalisierung hat allerdings auch Schattenseiten. Bei den bisher eingesetzten Methoden gehen oft Informationen verloren. Um Speicherplatz zu sparen, werden Dokumente oft schwarz-weiß und in niedriger Qualität gesichert. Das reduziert zum einen die Lesbarkeit. Zum anderen raubt es wichtige Hinweise, da man etwa in staatlichen Bürokratien vieler Länder an der Farbe der Tinte Hierarchiestufe und damit Identität des Verfassers einer Marginalie ablesen kann. Diese Fragen werden zurzeit jedoch diskutiert, und anders als bisherige Sicherungsmöglichkeiten wie Mikrofilme oder Mikrofiches bietet die Digitalisierung grundsätzlich die Möglichkeit, hochwertige Wiedergaben zu erzeugen.39 Darüber hinaus stellt die digitale Kopie eine Vergegenwärtigung des Materials dar. Die eingangs aufgeworfene Frage nach der Authentizität eines Dokuments lässt sich im Zeitalter massenhafter Reproduktion kaum klären. Das digitale Dokument nimmt der Geschichtswissenschaft nicht nur die bisherige haptische Qualität der Quellenarbeit, sondern auch jenes Auratische, das sich aus dem Kontakt mit dem Original ergab und den wissenschaftlichen Anspruch der Disziplin mit begründen half.


Viel schwerer noch wiegt etwas anderes. Mehr als bisher wird sich künftig eine Diskrepanz zwischen leicht und schwer verfügbaren Quellen ergeben – gerade weil manche so leicht und andere nur unter größten Mühen erreichbar sind. JSTOR und andere Online-Archive wissenschaftlicher Publikationen machen Millionen Texte gegen Gebühr verfügbar, aber keineswegs alle; zugleich liegt ein Schwergewicht auf englischsprachigen Texten. Und wenngleich Google mittlerweile rund 5,2 Millionen Bücher digitalisiert hat, entspricht das erst vier Prozent aller seit 1450 gedruckten Werke, und dieses lassen sich zumindest bislang nur quantitativ untersuchen.40


Bisher, so die These, spielte für die Erhebung des historischen Materials das Pareto-Prinzip keine große Rolle. Nach dieser Regel, die nach dem italienischen Ökonomen Vilfredo Pareto benannt ist, lassen sich häufig 80 Prozent der Arbeit mit 20 Prozent des Aufwands erledigen, während es sich bei den restlichen 20 Prozent die Anstrengung viermal so hoch sei.41 Das Verhältnis von Aufwand und Ertrag war in vielen archivbasierten Studien bislang gleichgewichtiger verteilt; zumindest auf den ersten Blick. Denn wenn man sich erst einmal im britischen Nationalarchiv in Kew, im Archivio Centrale dello Stato oder anderswo eingerichtet hatte, kann man auf eine Vielzahl unterschiedlicher Bestände und Quellenformen zurückgreifen. Zugleich wäre der Wert einer sich als quellennah verstehenden Arbeit ohne diesen Einsatz gering gewesen. Die Nationalfixierung der Geschichtswissenschaft ließ den Aufwand grundsätzlich beschränkt sein, da die meisten Materialien nicht allzu weit weg waren; bzw. es lange Zeit akzeptiert wurde, Quellen und Literatur in abgelegenen Sprachen zu ignorieren. Fallende Preise im Flugverkehr seit den 1990er Jahren und die Möglichkeit, in einer zunehmenden Zahl von Archiven digital fotografieren zu können, haben zudem multiarchivalische und multinationale Arbeiten in den letzten 20 Jahren deutlich vereinfacht. Forschungspragmatik war dementsprechend bislang primär entlang von Sprachgrenzen und teilweise von methodischen Zugriffen organisiert. Künftig kommt als Kriterium die digitale Verfügbarkeit hinzu.


Im Jahr 2020 oder 2030 werden sich deswegen Historikerinnen und Historiker immer öfters fragen, ob sie sich – als eine Minimallösung – mit dem online verfügbaren Material weitgehend zufrieden geben. Zeitungsquellen, Akteneditionen, digitalisierte Bücher, eine Flut von Bildern und vieles mehr wird sich leicht recherchieren lassen. Eine zweite Möglichkeit besteht im Archivbesuch, der unterschiedliche Intensität annehmen kann. Wer wird noch in ein kleines, abgelegenes Archiv fahren, wenn man dort nur drei Akten pro Tag bestellen und lediglich handschriftliche Notizen machen kann? Angesichts des Trends zugunsten transnationaler und globaler Ansätze werden im Gegensatz dazu die benutzerfreundlichen und leicht zugänglichen angelsächsischen Archive eine noch herausgehobenere Stellung einnehmen als bisher. Auch wissenschaftliche Literatur in Englisch wird eine noch zentralere Rolle einnehmen – einfach weil sie zumeist leichter verfügbar ist.


Die Geschichtswissenschaft zog bislang einen Teil ihres Renommees daraus, dass sie sich vom Pareto-Prinzip wenig beeindrucken ließ, bzw. nichts von ihm wusste. Zeithistorische Forschung lebt im Vergleich zur sozialwissenschaftlichen Analyse bisher vom Nimbus, die grundsätzlich erreichbaren Quellen zu einem Problem möglichst weitgehend bearbeitet zu haben. Insofern stellt sich nicht nur die Frage nach künftigen Arbeitstechniken, sondern auch nach der Stellung der Geschichtswissenschaft im weiteren Feld der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung. Insgesamt steht eine Re-Hierarchisierung von Informationen aus. Digitale Verfügbarkeit und englischsprachiges Material werden dabei international bevorzugt werden.


Zugleich werden sich die Folgen für verschiedene Teile der Forschung unterscheiden. Zu den Gewinnern dieser Trends werden Überblicksdarstellungen zählen, da sie ohne großen Aufwand auf ungekannte Möglichkeiten zurückgreifen können. Vergleiche zu anderen Phasen und Weltgegenden lassen sich zumindest auf der Ebene von Schlaglichtern leichter generieren, aber auch abgelegene Details, illustrierende Dokumente jeder Art und Kontextinformationen kann man im digitalen Zeitalter leicht recherchieren. Die quellennahe Monographie steht dagegen vor großen Herausforderungen, und eine Debatte über Standards gerade bei Qualifikationsschriften wird sich nicht vermeiden lassen.


4. Folgen für die historische Analyse und Narration: Auf ein weiteres Problem hat die damalige Leiterin des Britischen Nationalarchivs, Natalie Ceeney, 2008 aufmerksam gemacht. So hat sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte der Status von Akten schleichend verwandelt. Bis in die 1970er Jahre fertigten Institutionen normalerweise nur eine äußerst limitierte Anzahl von Kopien eines Dokuments an. Zudem war der Aufwand des Versands über größere Entfernungen hoch. Eine gut geführte Akte, welche sich auf möglichst wenige, aber aussagekräftigen Dokumente konzentrierte, stellte ein wichtiges Werkzeug in Entscheidungsfindungsprozessen dar. Entsprechend wertvoll war sie für den Historiker, dem sie anschließend eine konzise Grundlage seiner Analyse bot. Vervielfachung und vereinfachter Versand per Fax und später per E-Mail und durch andere Technologien veränderten jedoch seitdem die bürokratischen Abläufe, so dass sich anhand des Materials das Verhältnis von Interessen, Motiven und Verhandlungsergebnissen oft kaum mehr greifen lässt. Denn heute mag der entscheidende Puzzlestein in einem einfachen „Ja“ liegen, das über eine SMS versandt wird – und zumeist wird kein Archivar bereit stehen, um dieses festzuhalten.42 Zeitnahe Ex-post-Interpretationen von Entscheidungen und deren Begründungen wird es häufig geben. In diese Quellen werden jedoch teilweise andere Logiken einfließen als in die administrativ-politischen Entscheidungen; nicht zuletzt angesichts der gestiegenen Notwendigkeit zur prompten, öffentlichen Selbstrechtfertigung.43


Ganz allgemein wandeln sich die Formen, in denen Politik gemacht und Entscheidungen getroffen werden. Ceeney gibt dafür ein fiktives, aber wirklichkeitsnahes Beispiel: Das Gesundheitsministerium interessiert sich für den Zusammenhang zwischen Ernährung und Schulerfolg. In Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Behörden, einem Think Tank und einem wissenschaftlichen Institut trägt es einen Datensatz zusammen, um diesem Problem nachzugehen; zwei Jahre später werden die entsprechenden Ergebnisse publiziert. Eine breite öffentliche Debatte schließt sich an, worauf der Erziehungsminister darüber nachdenkt, seine Politik zu verändern. Er nutzt seinen Blog als Versuchsballon, und als seine Überlegungen in der Öffentlichkeit wohlwollend aufgenommen werden, lässt er von seinem Haus ein entsprechendes Papier ausarbeiten. Ceeney stellt die Frage, was davon wohl künftig in einem Archiv nachvollziehbar sein wird – und hält fest, dass die meisten Einrichtungen auf die neuen Herausforderungen durch die Komplexität der Prozesse unzureichend vorbereitet sind.44


Sicherlich, manches an dem Beispiel lässt sich nicht von Großbritannien auf andere Gesellschaften übertragen. In der Politikwissenschaft wird heute jedoch über „new forms of governance“ diskutiert, in denen nichtstaatliche Akteure in Regelung, Steuerung und Kontrolle von Entscheidungsprozessen einbezogen werden. Erste historische Studien haben gezeigt, dass solche Regelungssysteme jenseits des klassischen staatlichen Regierens weniger neu sind, als die Politikwissenschaft meint.45 Nichtsdestotrotz beschleunigen sich Entscheidungsprozesse immer weiter, werden dabei informeller und kaum noch aus der Perspektive einer einzigen, klar umfassten Akteursgruppe nachvollziehbar. Mehr noch als für (zwischen-)staatliche Verhandlungen wird es aufgrund der technologischen und der administrativ-bürokratischen Veränderungen in Zukunft schwierig sein, für Unternehmen, NGOs oder andere nicht-staatliche Organisationen und Gruppen Entscheidungsprozesse nachzuvollziehen.46


Zu dem Problem einer fragmentierten und in vielerlei Hinsicht unvollständigen Überlieferung tritt ein zweites.47 Gerade zu vielen ereigniszentrierten historischen Problemen liegen bereits anspruchsvolle zeitgenössische Deutungen vor. Journalismus, andere mediale Aufbereitungen sowie sozialwissenschaftliche Studien leisten oft gründliche Arbeit und stellen Darstellungen und Interpretationen durch die Mitlebenden auf hohem Niveau bereit. Solche zeitgenössischen Analysen gibt es natürlich auch für alle anderen Phasen der Vergangenheit. Die Zeitgeschichte steht, vor allem für die Beforschung der Periode ab den 1960er Jahren, dennoch vor einer besonderen Herausforderung. In vielen Ländern Europas nahm die Presse seit ungefähr dieser Zeit eine zunehmend kritische Funktion ein.48 Der Aufstieg der Sozialwissenschaften seit der Nachkriegszeit trug ebenso dazu bei, dass zumindest für pluralistische Wissensgesellschaften der kritische Reflektionsgrad eines Teils der überlieferten Quellen enorm hoch ist. Wird angesichts dessen die Geschichtswissenschaft im Jahr 2050 zum Beispiel grundsätzlich mehr oder Genaueres über die Geschichte der Parlamentswahl in Italien 2008 sagen können als das, was man heute bereits dazu weiß? Oder über den Ausbruch des Irak-Kriegs 2003, so wie dies für die Forschung nach Öffnung der Archive für die Ereignisse des Augusts 1914 möglich war? Die Frage nach dem „Mehrwert“ einer quellennahen historischen Analyse stellt sich hier dringend.


Dennoch ist das Gros der Zeitgeschichtsschreibung bislang einem Ansatz verpflichtet, der die Rekonstruktion von Entscheidungsabläufen innerhalb kurzer Zeithorizonte privilegiert und sich durch empirische Lücken definiert. In besonderem Maße gilt dies für die Politikgeschichtsschreibung und die Internationale Geschichte.49 Das Quellenmaterial wird aber genau zu diesen Problemen immer weniger originelle Erkenntnisse erlauben. Die immer noch weit verbreitete Idee, die „Wahrheit“ in den Akten zu finden, zeigt sich hier in ihrer ganzen Unhaltbarkeit.50


Für eine erfolgreiche Zeitgeschichte müssen dagegen drei andere Zugänge weiter an Bedeutung gewinnen. Mehr Potential als kurzatmige, ereigniszentrierte Studien hat erstens die thesenorientierte Untersuchung längerer Untersuchungszeiträume, für die Prozess- und Strukturfaktoren angemessen berücksichtigt werden müssen. Diese Dimension kommt in vielen zeitgenössischen journalistischen und sozialwissenschaftlichen Analysen zu kurz, da sie – darin der Zeitgeschichte nicht unähnlich! – einen zunehmend verkürzten Analysehorizont aufweisen.51 Mehr noch als im politikgeschichtlichen Bereich gibt es hier für wirtschafts-, kultur- und sozialhistorische Fragen künftig wichtige Erkenntnischancen.


Zweitens gilt es auch die andere historische Zentralkategorie neben der Zeit, den Raum, weiter umzujustieren. Dann geht es um transnational-beziehungsgeschichtliche und komparative Probleme.52 Diese sind zeitgenössisch ebenfalls weniger ausgedeutet, und auch für sie muss man über ereignisfixierte Darstellungsform überwinden, um zu interessanten Erkenntnissen zu gelangen. Zugleich lässt sich über derartige Studien manche Lücke in der Überlieferung relativieren – sei es, in dem man nach Wahrnehmungen durch gut informierte Dritte fragt oder aber, indem man aus möglichen Parallelentwicklungen in anderen Gesellschaften Hypothesen zur Erklärung von Phänomenen ableitet.


Drittens sei auf die Kulturgeschichte verwiesen – nicht als Thema, sondern als Methode der Forschung verstanden. Diese betont die Fremdheit des Gegenstandes, die Fragilität und Konstruiertheit von Erkenntnis sowie die Bedeutung von Repräsentationen. Statt der Kausalität von Entscheidungsprozessen geht es dann um Kommunikation als deutend-mehrdeutigem Handeln. Viele Quellen des 21. Jahrhunderts bieten sich für diese Form der Analyse besonders an, da ihnen – wie oben bereits angedeutet – aufgrund der Medialisierung von Prozessen politischer und jeder nur denkbaren anderen Art die Logik öffentlich-symbolhafter Kommunikation viel stärker eingeschrieben ist als dem bisherigen Material, das häufig einer administrativen Logik verpflichtet war.53 Zudem werden sich, wie mit Ceeney gezeigt, manche Entscheidungsprozesse und gewisse Formen von Kausalbeziehungen im Material gar nicht mehr nachvollziehen lassen. Jene Vorstellung einer allwissenden, auktorialen Erzählperspektive, welche die Kulturgeschichte grundsätzlich kritisiert, stößt so an offensichtliche Grenzen.54 Zugleich bietet ein kulturhistorischer Zugriff die Möglichkeit, das Überlieferte wissensgeschichtlich zu hinterfragen. Zum Beispiel werden dann zeitgenössische sozialwissenschaftliche Studien nicht einfach als Steinbrüche für Statistiken und andere Informationen oder für methodische Anregungen genutzt. Sie werden auch nicht einfach diziplinengeschichtlich historisiert. Vielmehr lässt sich so untersuchen, wie das in ihnen generierte Wissen Prozesse jeder denkbaren Art geprägt hat.55


Pointiert – und ein wenig flapsig – zusammengefasst: Im Grunde kann man froh sein, dass es die strukturhistorische, die komparativ-transnationale und die kulturhistorische Wende der Geschichtswissenschaft bereits gibt – denn angesichts der künftigen Probleme mit dem Material müsste man sie ansonsten geradezu erfinden.


***



Insgesamt zeigt sich, dass viele der hier behandelten Entwicklungen einerseits für die Zeitgeschichte spezifisch sind, andererseits aber keineswegs erst mit der digitalen Revolution oder gar mit Wikipedia einsetzten. Vielmehr begannen viele in den 1960er und 1970er Jahren und heben die darauf folgende Zeit von älteren Phasen der Zeitgeschichte, etwa der Zwischenkriegszeit, ab. Zugleich ging es hier angesichts neuer Herausforderungen an die Forschungspraxis nicht darum, lediglich die Probleme zu beklagen, sondern die Suche nach konstruktiven Antworten zu beginnen.


Dabei zeigt sich, dass es angesichts der Verschiebungen des Quellenmaterials künftig noch wichtiger sein wird, über eine präzise Fragestellung zu verfügen als bisher. Stärker als andere Teile der Geschichtswissenschaft hat sich die Zeitgeschichtsschreibung durch eine tendenziell deskriptive Empirieorientierung ausgewiesen. Dagegen kann die empirische Lücke allein künftig noch weniger als bisher forschungsleitend sein. Wer sich ohne Frage an das Material wenden wird, muss darin untergehen. Außerdem wurde deutlich, dass gewisse methodische Ansätze und Darstellungsformen angesichts der neuen Herausforderungen besser geeignet sein werden als andere.


Darüber hinaus wird es selbst für den empirisch orientierten Forscher künftig noch notwendiger sein als bisher, sich mit dem Zusammenspiel zwischen technischen Innovationen, administrativen Abläufen und Archivierungspraktiken zu beschäftigen. Vor diesem Hintergrund ist der kollektive Quietismus der Zunft gegenüber der Arbeit der Archive und den Entwicklungen der digitalen Welt hoch problematisch.56Beinahe scheint es, als würde man momentan der Logik einer Gnade der frühen Geburt folgen – und die Probleme einfach künftigen Historikergenerationen überlassen. Zudem gilt es, über die Propädeutik hinaus die Konsequenzen der Veränderungen für Studium, Forschungsanleitung und -förderung zu bedenken. Ob das einzelne Individuum den Herausforderungen der Zukunft immer am besten gewachsen sein wird, sei dahingestellt. Viele Disziplinen haben sich längst von jenem Geniekult verabschiedet, der an der Wiege der modernen Wissenschaften stand. Wenngleich die Geschichtsschreibung hoffentlich auch künftig von der Kunst ihrer Darstellung leben wird, stellt sich die Frage, in welchen Formen man künftig am besten forschen und publizieren kann.57


Eine ganz eigene Dynamik werden die hier beschriebenen Tendenzen haben, wenn die Analyse über reiche, pluralistische und eng vernetzte Informationsgesellschaften hinausgeht.58 Denn die Asymmetrien in Quellenproduktion und -überlieferung, die wir auch für andere Phasen kennen, wird sich für die Zeitgeschichte des 21. Jahrhunderts noch verschärfen. Arme Länder und Diktaturen werden oft nicht in der Lage sein oder kein Interesse daran haben, die technische Ausstattung von Archiven den Überlieferungsformen des späten 20. und des 21. Jahrhunderts anzupassen. Zugleich machen ihre Eliten von den neuen Kommunikationsmitteln ebenso Gebrauch wie jene in New York, Berlin oder Paris, und deswegen dürfte das Überlieferte oft umso lückenhafter erscheinen. Keine wirkliche Antwort ergibt sich aus den veränderten Kommunikationsformen zudem für das Problem, wie dem Gros der Bevölkerung der armen und ärmsten Länder eine Stimme zu verleihen sei – etwa jenen knapp 70 Prozent aller Frauen in Bangladesh, die heute Analphabetinnen sind.59 Die Möglichkeiten dieser Menschen, eigenständige Quellen zu hinterlassen, bleiben auch im 21. Jahrhundert stark reduziert. Zeitgenössische sozialwissenschaftliche Studien, seien es solche aus diesen Ländern selbst oder westlicher Couleur, bieten keinen vollständigen Ersatz.


Zugleich stellt sich die Frage, ob die hier beschriebenen Möglichkeiten die schwindende Bedeutung der Geschichtswissenschaft zur Bereitstellung prägender historischer Narrative im Vergleich zu Kino, Fernsehen und anderen außerakademischen Beiträgen zum Umgang mit der Vergangenheit weiter beschleunigen oder umkehren wird.60 Die Probleme liegen auf der Hand. Allerdings lassen sich mit der Möglichkeit, die Fragilität des Wissens in Zeiten globaler Kommunikation zu thematisieren, Leser des 21. Jahrhunderts auch ansprechen. Denn viele jener Herausforderungen, denen sich die Geschichtswissenschaft konfrontiert sieht, werden ihr oder ihm aus dem Alltag vertraut sein. Durch die Veränderungen in der medialen Welt werden neue Darstellungsformen jenseits der auktorialen Meistererzählung generell auf dem Vormarsch sein.


Insgesamt werden sich durch die Verschiebungen bei der Zugänglichkeit des Materials und seiner Beschaffenheit, den neuen Rechercheformen und deren Folgen für die Suche nach schlüssigen Narrativen dieGrundprobleme der Geschichtswissenschaft keineswegs ändern. Die Diskrepanz etwa aus unvollständigen, fragmentierten und endlos-repetitiven Quellen gab es schon immer. Sehr wohl wandeln sich jedoch die konkreten Formen, in denen sich diese Grundprobleme manifestieren, und – so die These des Beitrags – auch die Antworten, welche wir darauf geben sollten.


Wir leben heute in global vernetzten, digitalen und kommunikationsbasierten Dienstleistungsgesellschaften. Selbst nach Jahrzehnten der Debatte über Wesen und Spezifika der Zeitgeschichte wird diese in den verschiedenen Gesellschaften bis heute primär über politische Zäsuren eingegrenzt und unterteilt.61 Wikileaks wird das Wesen der Zeitgeschichte nicht neu bestimmen. Die Summe der Veränderungen, die hier skizziert wurden, hat dagegen durchaus das Potential dazu.

* Für Anregungen und Kritik danke ich Jens Hacke, Chris Lorenz, Serge Noiret, Cornelius Torp und Jens Wegener. Eine frühere Fassung dieses Aufsatzes ist 2011 auf Deutsch in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte erschienen.

1 Timothy Garton Ash, US Embassy Cables: A Banquet of Secrets, in: Guardian, 28 November 2010.

2 Vgl. http://chnm.gmu.edu/; Wolfgang Schmale, Digitale Geschichtswissenschaft, Wien 2010.

3 Aus pragmatischen Gründen und um der Konsistenz willen konzentriert sich dieser Beitrag auf die Veränderungen in den vier Bereichen, die sich aus der Beschaffenheit des Quellenmaterials ergeben. Stärker diskutiert werden z.B. Fragen künftiger Publikations- und Rezeptionsformen geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisse; vgl. dazu z.B. Martin Gasteiner/Peter Haber (Hrsg.), Digitale Arbeitstechniken für die Geistes- und Kulturwissenschaften, Wien 2010; Schmale, Geschichtswissenschaft; Serge Noiret, Y a-t-il une histoire numérique 2.0?, in: Jean-Philippe Genet/Andrea Zorzi (Hrsg.), Les Historiens et l’informatique. Un métier à réinventer, Rom 2011, forthcoming, sowie weitere Beiträge jenes Bandes. Daneben werden im Folgenden z.B. auch Fragen der Lehre nicht behandelt.

4 Die im Folgenden behandelten Probleme finden z.B. keine/kaum Aufmerksamkeit in: Constantin Goschler/Rüdiger Graf, Europäische Zeitgeschichte seit 1945, Berlin 2010, dort 19, 231-232.; Stefan Jordan, Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft, Paderborn 2009; François Hartog, Evidence de l’histoire. Ce que voient les historiens, Paris 2005; Gabriele Metzler, Einführung in das Studium der Zeitgeschichte, Paderborn 2004, hier immerhin 55-56.; Alexander Nützenadel/Wolfgang Schieder (Hrsg.), Zeitgeschichte als Problem. Nationale Traditionen und Perspektiven der Forschung in Europa, Göttingen 2004; Horst Möller/Udo Wengst (Hrsg.), Einführung in die Zeitgeschichte, München 2003. Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008 sehen das digitale Informationszeitalter als Merkmal der Zeitgeschichte seit 1970, diskutieren jedoch nicht die forschungspraktischen Konsequenzen; vgl. dagegen bereits Gerhard A. Ritter, Auswirkungen neuer Medien der Kommunikation auf den historischen Prozeß und die quellenorientierte Forschung in der Zeitgeschichte, in: Horst Fuhrmann (Hrsg.), Die Kaulbach-Villa als Haus des Historischen Kollegs, München 1989, 145-152.

5 Johann Gustav Droysen, Historik, Bd. 1, Stuttgart 1977, 423.

6 Droysen, Historik, 426.

7 Vgl. Paul Kluke, Aufgaben und Methoden zeitgeschichtlicher Forschung, in: Europa-Archiv 10 (1955), 7429-7438, hier 7433.

8 Das hängt nicht nur mit der gestiegenen Quellenproduktion zusammen, sondern auch mit der erhöhten Sammelwut; vgl. Chris Lorenz, Unstuck in Time. Or: The Sudden Presence of the Past, in: Karen Tilmans/Frank van Vree/Jay Winter (Hrsg.), Performing the Past: Memory, History, and Identity in Modern Europe, Amsterdam 2010, 67-102, hier 86 f; vgl. ferner zu den Spezifika des digitalen Zeitalters Viktor Mayer-Schönberger, Delete: The Virtue of Forgetting in the Digital Age, Princeton 2009.

9 Vgl. z.B. http://pao.chadwyck.co.uk.

10 Vgl. z.B. Niall Ferguson/Charles S. Maier/Erez Manela/Daniel J. Sargent (Hrsg.), The Shock of the Global: The 1970s in Perspective, Cambridge, MA 2010; Antonio Varsori (Hrsg.), Alle origini del presente. L’Europa occidentale nella crisi degli anni Settanta, Milano 2007; Philippe Chassaigne, Les années 1970: Fin d’un monde et origine de notre modernité, Paris 2008.

11 Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008, S. 7.

12 Vgl. auch bereits Paul Erker, Zeitgeschichte als Sozialgeschichte, in: Geschichte und Gesellschaft 19 (1993), 202-238, hier v.a. 209. Zugleich ist erstaunlich, wie wenig sich in den letzten 20 Jahren geändert hat.

13 Vgl. Elena Aga Rossi, Pubblica amministrazione aperta? Diritto di accesso e trasparenza dal 1990 ad oggi, in: Archivi & Computer 19 (2009), 7-13; zu Großbritannien, auch zu den Ausnahmen von dieser Regel, Lâle Özdemir, The National Archive and the Lord Chancellor’s Advisory Council on National Records and Archives in the Freedom of Information Era, in: Journal of the Society of Archivists 30 (2009), 137-145; zu Südafrika Peter Sebina, Freedom of Information: Erosion of the Archive?, in: Journal of the Society of Archivists 30 (2009), 147-165.

14 Vgl. LEGGE, 7 agosto 1990, n. 241.

15 Vgl. Shannon E. Martin, Freedom of Information: The News the Media Use, New York 2008.

16 Vgl. Sebina, Freedom, 154-155.

17 Greg Terrill, “A Bit of Fast Money, a Bit White Shoe Brigade”? Freedom of Information and Australian History, in: Twentieth Century British History 12 (2001), 231-242, quote 236.

18 Vgl. z.B. Sebina, Freedom, 163; zum Problem der Kassation Hermann Lübbe, Im Zug der Zeit. Verkürzter Aufenthalt in der Gegenwart, Berlin 21994, 176-211.

19 Vgl. Daniel W. Drezner, Why WikiLeaks is Bad for Scholars, in: Chronicle of Higher Education, 5.12.2010; Andreas Zielcke, Wissen ist Macht, in: Süddeutsche Zeitung, 16.12.2010.

20 Vgl. dazu bereits z.B. Martin Broszat, Datenschutz und zeitgeschichtliche Forschung, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 37 (1989), 545-561; Erker, Zeitgeschichte, 212-213.

21 Vgl. Frederick S. Lane, American Privacy: The 400-Year History of Our Most Contested Right, Boston 2009; zur Debatte über den Umgang mit solchen Akten auch Uwe Zuber/Jens Niederhut, Verschlusssachen in staatlichen Archiven, in: Archivar 63 (2010), 466-469; für die USA setzt Timothy Ericson die Zäsur allerdings schon in den 1940er Jahren an; vgl. Timothy L. Ericson, Building Our Own „Iron Curtain“: The Emergence of Secrecy in American Government, in: American Archivist 68 (2005), 18-52.

22 Laut einer Umfrage in den USA war 2003/4 in 34 Prozent aller befragten Einrichtungen mehr als die Hälfte des Materials unverzeichnet, vgl. Mark A. Greene/Dennis Meissner, More Product, Less Process: Revamping Traditional Archival Processing, in: American Archivist 68 (2005), 208-263.

23 Vgl. z.B. Steve Bailey, Taking the Road Less Travelled By: The Future of the Archive and Records Management Profession in the Digital Age, in: Journal of the Society of Archivists 28 (2007), 117-124; Rolf Dässler/Karin Schwarz, Archivierung und dauerhafte Nutzung von Datenbankinhalten aus Fachverfahren, in: Archivar 63 (2010), 6-18.

24 Vgl. z.B. Tom Blanton (Hrsg.), White House E-Mail: The Top Secret Computer Messages the Reagan/Bush White House Tried to Destroy, New York 1995; R. Jeffrey Smith, GOP Groups Told to Keep Bush Officials’ E-Mails, in: Washington Post, 27.3.2007.

25 Vgl. Hilmar Schmundt, Im Dschungel der Formate, in: Der Spiegel 26/2000; vgl. auch Mayer-Schönberger, Delete.

26 Davon zeugen die Fachzeitschriften des Faches wie American Archivist, Archiv und Wirtschaft, Der Archivar, Archivaria, Archival Science, Archivi, Archivi & Computer, Comma, Document numérique oder Library Quarterly und natürlich www.dlib.org. In beschränktem Rahmen gibt es durchaus Austausch; vgl. z.B. Genet/Zorzi, Historiens, oder das Projekt http://www.menestrel.fr/spip.php?rubrique619.

27 Vgl. z.B. http://www.unesco-ci.org/cgi-bin/portals/archives/page.cgi?d=1; http://www.interpares.org/welcome.cfm; http://rdd.sub.uni-goettingen.de/conferences/ipres/ipres-en.html; vgl. z.B. auchhttp://www.fondazionetelecomitalia.it/archivio_convegno.html; www.ica.org; http://chnm.gmu.edu; vgl. zu den Entwicklungen auch Paolo Ferrari/Leonardo Rossi (Hrsg.), Antonio Criscione, Web e Storia Contemporanea, Rom 2006.

29 Vgl. mit weiteren Informationen http://blogs.loc.gov/loc/2010/04/the-library-and-twitter-an-faq/; http://blog.twitter.com/2010/04/tweet-preservation.html; weitere Beispiele wären die Kooperationen des Bundesarchivs und des Niederländischen Nationalarchivs mit wikipedia; vgl. Oliver Sander, „Der Bund mit Wiki“. Erfahrungen aus der Kooperation zwischen dem Bundesarchiv und Wikimedia, in: Archivar 63 (2010), 158-162; http://blog.wikimedia.org/blog/2010/09/13/dutch-national-archive-joins-wikipedia/.

30 Vgl. Michelle Caswell, Instant Documentation: Cell-Phone-Generated Records in the Archives, in: American Archivist 72 (2009), 133-145.

31 Vgl. www.rapleaf.com; zu den archivalischen Potentialen von Blogs erste Überlegungen bei Catherine O’Sullivan, Diaries, On-line Diaries, and the Future Loss of Archives; or, Blogs and the Blogging Bloggers Who Blog Them, in: American Archivist 68 (2005), 53-73.

33 Vgl. dazu z.B. Craig Robertson, Mechanisms of Exclusion: Historicizing the Archive and the Passport, in: Antoinette Burton (Hrsg.), Archive Stories: Facts, Fictions, and the Writing of History, Durham 2005, 68-86; Sonia Combe, Archives interdites, Paris 2001.

34 Vgl. z.B. Sabine Stropp, Marketing im Archiv – ein Denken vom Markt her, in: Archivar 63 (2010), 261-266; Natalie Ceeney, The Role of the 21st-Century National Archive – The Relevance of the Jenkinsonian Tradition, and a Redefinition for the Information Society, in: Journal of the Society of Archivists 29 (2008), 58-62.

35 Den Begriff entlehne ich von Erker, Zeitgeschichte, 209.

36 Vgl. Marc Bloch, Apologie pour l’histoire ou métier d’historien, Paris 1974, 67.

37 Zum Books Ngram Viewer: http://ngrams.googlelabs.com/; zu Chancen, v.a. aber auch den Problemen solcher neuen Möglichkeiten, vgl. Fabio Ciravegna/Mark Greengrass/Tim Hitchcock/Sam Chapman/Jamie McLaughlin/Ravish Bhagdev, Finding Needles in Haystacks: Data-Mining in Distributed Historical Datasets, in: Mark Greengrass/Lorna Hughes (Hrsg.), The Virtual Representation of the Past, Farnham 2008, 65-79; vgl. ferner z.B. Roger C. Schonfeld, JSTOR: A History, Princeton 2003; Patricia Cohen, Digital Keys for Unlocking the Humanities’ Riches, in: New York Times, 16.11.2010.

38 Wobei manchen Umfragen zufolge die Geschichtswissenschaft besonders zögerlich ist, sich auf das digitale Zeitalter einzustellen; vgl. z. B. Peter Schmidt, For Many Historians, Use of Technology Remains Stuck in the Past, in: Chronicle of Higher Education, 9.1.2011.

39 Vgl. z.B. Andrew Prescott, The Imaging of Historical Documents, in: Greengrass/Hughes, Representation, 7-22; zur Vergegenwärtigung, Schmale, Geschichtswissenschaft, 13-14.

41 Vgl. als Ausgangspunkt Vilfredo Pareto, Manuale d’economia politica, Mailand 1906; die Bezeichnung Pareto-Prinzip geht allerdings nicht auf Pareto selbst zurück, sondern auf Joseph M. Juran.

42 Vgl. Ceeney, Role, 62-65; vgl. teilweise auch bereits Gerhard A. Ritter, Auswirkungen neuer Medien der Kommunikation auf den historischen Prozeß und die quellenorientierte Forschung in der Zeitgeschichte, in: Horst Fuhrmann (Hrsg.), Die Kaulbach-Villa als Haus des Historischen Kollegs, München 1989, 145-152, hier 145-146.

43 Zum Problem des Wahrheitsgehaltes von Informationen, die nur aus einer Quelle überliefert sind, vgl. Chris Lorenz, Konstruktion der Vergangenheit. Eine Einführung in die Geschichtstheorie, Köln 1997, v.a. 57-64; zu dieser medialisierten Form der Politik z.B. Dominique Cardon, En finir avec le culte du secret et de la raison d’Etat, in: Le Monde, 3.12.2010.

44 Vgl. Ceeney, Role, 62-65; vgl. auch bereits Lübbe, Zeit, 179.

45 Vgl. Mathias Koenig-Archibugi/Michael Zürn (Hrsg.), New Modes of Governance in the Global System: Exploring Publicness, Delegation and Inclusiveness, New York 2006.

46 Vgl. etwa Thomas Inglin, E-Mail Archivierung bei einem multinationalen Unternehmen – das Beispiel der Zurich Financial Services, in: Archiv und Wirtschaft 41 (2008), 69-73.

47 Der Begriff bei Lübbe, Zeit, 172.

48 Vgl. Tony Judt, Postwar: A History of Europe since 1945, London 2005, 343-347.

49 Vgl. z.B. Richard J. Evans, In Defence of History, London 1997; Patrick Finney, Introduction: What is International History?, in: Patrick Finney (Hrsg.), Palgrave Advances in International History, New York 2005, 1-35.

50 Das ist jedem reflektierten Historiker freilich auch ohne die Veränderungen im Material klar; vgl. etwa Lorenz, Konstruktion, v.a. 17-64.

51 Vgl. in diese Richtung z.B. Doering-Manteuffel/Raphael, Boom; sowie Erker, Zeitgeschichte, 202-238.

52 Vgl. z.B. Akira Iriye/Pierre-Yves Saunier (Hrsg.), The Palgrave Dictionary of Transnational History, London 2009.

53 Was wiederum nicht heißt, dass die Kulturgeschichte auf solche Quellen angewiesen wäre; vgl. z.B. Peter Burke, What is Cultural History?, Cambridge 2004; Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, Berlin 2005.

54 Wobei es auch keines veränderten Quellenmaterials bedarf, um die postmoderne Kritik an dieser Erzählperspektive zu begründen; vgl. etwa Keith Jenkins/Sue Morgan/Alun Munslow (Hrsg.), Manifestoes for History, London 2007; Jakob Krameritsch, Geschichte(n) im Netzwerk: Hypertext und dessen Potenziale für die Produktion, Repräsentation und Rezeption der historischen Erzählung, Münster 2007; Thomas Mergel, Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Politik, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), 574-606, besonders 604-605; Christoph Conrad/Martina Kessel (Hrsg.), Geschichte schreiben in der Postmoderne. Beiträge zur aktuellen Diskussion, Stuttgart 1994.

55 Vgl. etwa Lutz Raphael, Die Verwissenschaftlichung des Sozialen als methodische und konzeptionelle Herausforderung für eine Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, in: Geschichte und Gesellschaft 22 (1996), 163-193.

56 Vgl. als eine der wenigen Ausnahmen jetzt Genet/Zorzi, Historiens.

57 Vgl. dazu auch Noiret, Histoire.

58 Eine Ausnahme ist Japan, wo es keine dem Westen vergleichbare Archivtradition gibt, vgl. Chiyoko Ogawa, Archives in Japan: The State of the Art, in: American Archivist 54 (1991), 546-554.

59 Vgl. UNESCO, EFA Global Monitoring Report 2006, Paris 2005, 284.

60 Vgl. z. B. Paul Ashton/Hilda Kean (Hrsg.), People and their Pasts: Public History Today, Basingstoke 2009.

61 Vgl. als Überblick über die verschiedenen Debatten über Zeitgeschichte Alexander Nützenadel/Wolfgang Schieder (Hrsg.), Zeitgeschichte als Problem. Nationale Traditionen und Perspektiven der Forschung in Europa, Göttingen 2004.